Aus: Ausgabe vom 29.08.2018, Seite 15 / Antifa
Von Anika Taschke
Auch in diesem Jahr unternahm die Organisation »Zivilcourage vereint« e. V. mit der Bundestagsabgeordneten Dr. Gesine Lötzsch von Die Linke und jungen Menschen aus ganz Deutschland eine Reise auf den Spuren des antifaschistischen Widerstandes in Europa. Diesmal nach Österreich und Slowenien. Am 2. August traf die Gruppe das erste Mal zusammen. Teilnehmende im Alter von 16 und 26 Jahren, aktiv in den Bereichen Antifaschismus, Antirassismus und Demokratie, hatten sich zur Studienreise angemeldet und fuhren zum Startpunkt nach München. Von dort aus folgte eine sechstägige Reise mit Gedenkstätten- und Museumsbesuchen, Zeitzeugengesprächen und abenteuerlichen Wanderungen. Bereits an der ersten Station, der ehemaligen »Euthanasie«-Stätte Schloss Hartheim bei Alkoven in Oberösterreich, fiel den Reisenden auf: Ein großes Interesse der Nachbarschaft an dem Thema und dem Ort in ihrem eigenen Dorf gibt es nicht.
In der KZ-Gedenkstätte Mauthausen stieß die Gruppe auf Eigenheiten, die sie im Gespräch mit der Leiterin der pädagogischen Abteilung, Gudrun Blohberger, kritisch hinterfragte. Seit April dieses Jahres sind Treppen und einige Wege innerhalb der Gedenkstätte abgesperrt. Darunter fällt auch die sogenannte Todesstiege. Errichtet wurde sie, um die Steine des unterhalb liegenden Steinbruchs in das Lager zu transportieren – getragen unter größter Anstrengung von Häftlingen des Konzentrationslagers und beschleunigt durch Peitschenhiebe der SS. Heute ist die Treppe aufgrund baulicher Maßnahmen und eines erhöhten Sicherheitsrisikos gesperrt. Ein Gedenken und Erinnern, nicht einmal ein Besehen der historischen Treppe und des Tatorts »Todesstiege« ist möglich. Eine neue Bauvorschrift sei daran schuld. Sie regele, dass nach 20 Stufen ein Podest gebaut werden muss, um Stürzende zu schützen. Eine Regelung, die uns auf der ganzen Reise nicht wieder begegnete. »Einmal mehr wird deutlich, dass Geschichte und Erinnerungen nicht selbstverständlich sind«, mahnte Gesine Lötzsch. »Wir müssen um diese kämpfen und vermeidlich kleine Verwaltungsakte hinterfragen, bevor historische Originale und Beweise verschwunden sind.«
In Gusen, einem Nebenlager von Mauthausen, steht nichts mehr. Ehemalige Häftlinge kauften dort 1961 ein Grundstück, um ein kleines Museum zu ermöglichen. Seit einigen Jahren gibt es ein Kunstprojekt, das für Besucher trotzdem den Lageralltag und das Verbrechen von Gusen I und Gusen II erfahrbar machen soll. Ein Audioweg führt durch das Dorf. Mit Kopfhörern läuft man durch die Einfamilienhaussiedlung, eine Stimme beschreibt den Weg, Zeitzeugen, Opfer, Häftlinge, aber auch Anwohner kommen so zu Wort. Erwünscht fühlt man sich zwischen den großen Grundstücken nicht. Einige Wege wurden gesperrt, die Zäune wirken besonders hoch.
In der Gedenkstätte Loibl Nord wurde vor rund fünf Wochen das Fundament der ehemaligen Waschbaracke zubetoniert – aus Gründen der Konservierung, heißt es. Nichts, kein Stein, deutet darauf hin, dass hier noch Originalmauern vorhanden sind. »Originale sind für uns junge Menschen doch viel beeindruckender. Warum entfernt man sie?« fragte Samantha, eine Teilnehmerin der Gruppe. Schockierte Gesichter und viele Fragen am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Loibl Nord – ein Gedenkort, der erst vor einigen Jahren entstand, auf Druck des Mauthausen-Komitees Kärnten/Koroška. Gerti, unser Guide und Mitglied des Komitees, nahm die Eindrücke der Gruppe auf. Auch für sie ist es unverständlich, was hier geschehen ist. Doch einbezogen wird das Komitee schon seit Jahren nicht, dabei erarbeitet es immer wieder Vorschläge für die Konzeption der Gedenkstätte.
Anna Hackl und Zdravko Haderlap empfingen die jungen Menschen und erzählten ihre Geschichten. Annas Mutter versteckte 1945 zwei geflohene sowjetische Häftlinge des KZ Mauthausen bis zum Ende des Krieges. Zdravkos Vater war selbst im Kärntner Widerstand und ist mit den Geschichten der Partisanen aufgewachsen. Beide wurden von diesen Erfahrungen geprägt – sie arbeiten bis heute mit jungen Menschen und erzählen aus den unterschiedlichsten Perspektiven, dass Widerstand möglich war und heute wieder nötig ist. Anna Hackl bat die Teilnehmer am Ende des Gespräches, dass solche Verbrechen nie wieder stattfinden dürfen und dass wir, die heutigen Generationen, uns täglich für eine solidarische, friedliche und tolerante Gesellschaft einsetzen mögen.
»Es zieht sich durch unsere Reise. Die rechte FPÖ setzt ihr Programm durch«, warnte Gesine Lötzsch. Von deutschen Politikern werde die Entwicklung in Österreich noch bejubelt. »Wir müssen uns dem Rechtsruck in Europa deutlich entgegenstellen«, sagte Lötzsch zum Abschluss. Seit Jahren fährt sie in Länder des antifaschistischen Widerstandes. Auch in Polen, Slowenien, Serbien oder Kroatien zeigen sich vor diesem Hintergrund deutliche Veränderungen in der Erinnerungspolitik und der Gedenkstättenarbeit.
Auf Reisen wie dieser werden Inhalte vermittelt, die im Geschichtsunterricht keinen Platz finden. Aber sie sind für das Verständnis der aktuellen Politik und der Gefahren von heute mehr als wichtig.
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